Gyalwang Karmapas Grußwort zu seinem 36. Geburtstag

Euch allen meine Grüße und Segenswünsche (Tashi Delek). Heute ist der 26. Juni, der Tag, an dem in der Regel mein Geburtstag gefeiert wird. Mein tatsächlicher Geburtstag ist der erste Tag des fünften tibetischen Monats. Er wurde aber bisher an unterschiedlichen Tagen gefeiert. Das Datum, das meine Eltern als meinen Geburtstag ansehen, wird nach dem tibetischen Kalender berechnet und wenn man es in den westlichen Kalender umrechnet, ist es der 19. Juni 1985. Traditionell war es in Tibet nicht üblich, Geburtstage zu feiern. Als ich noch in meiner Heimat lebte, haben wir ihn nie gefeiert. Meine erste Geburtstagsfeier fand statt, nachdem ich im Kloster Tsurphu angekommen war. Das war am 26. Juni, der dann zum Datum wurde, an dem mein Geburtstag üblicherweise gefeiert wird.

Ich betrachte meinen Geburtstag als einen Tag der Dankbarkeit, da er das Datum ist, an dem ich in diese Welt hinein geboren wurde. Ich wurde nicht nur geboren, sondern erhielt auch einen guten menschlichen Körper, mit dem ich den Dharma praktizieren kann. Einen solchen Körper zu haben, verdanke ich der Güte meiner lieben Eltern, wofür ich ihnen sehr dankbar bin.

Später schritt ich durch das Tor zum wahren Dharma und lernte allmählich zu erkennen, was ich tun und was ich lassen sollte. Dafür bin ich meinen großen spirituellen Freunden sehr dankbar. So habe ich erkannt, dass es wichtig ist, mich an diesem Tag auch an ihre Güte zu erinnern und dankbar dafür zu sein.

Ebenso verdanke ich meine Fähigkeit, ein wenig für den Buddhismus und die Lebewesen tun zu können, dem Wohlwollen meiner Freunde, Gefährten und all jener, mit denen ich verbunden bin. Daher erkenne ich meinen Geburtstag auch als Tag der Dankbarkeit allen meinen Freunden und allen Lebewesen gegenüber.

Dieses Jahr, in dem ich 36 werde, ist ein Jahr der Hindernisse. Die Mönchs- und Nonnenklöster in Indien, Nepal und Bhutan hatten umfangreiche Feierlichkeiten geplant, aber wegen der Coronavirus-Epidemie blieb ihnen nichts anderes übrig, als sie zu verschieben. Seit Beginn meines Hindernis-Jahres haben Klöster und Privatpersonen in meiner Heimat Tibet sowie in Indien, Nepal, Bhutan und auf der ganzen Welt umfangreiche Rituale, einzeln und gemeinsam, speziell für mein Wohlergehen abgehalten. Kurz gesagt, ich kann spüren, wie viele reine Absichten und wie viel Liebe ihr für mich hegt, auch wenn ich nicht sehen kann, wie ihr sie körperlich und verbal ausdrückt. Ich kann im Grunde meines Herzens fühlen, wie groß und tief sie sind. Daher möchte ich diese Gelegenheit nutzen, um mich bei euch allen zu bedanken.

Da die Coronavirus-Epidemie weder international noch in Indien und Nepal überwunden ist, ist es für euch alle sehr wichtig, auf eure Gesundheit zu achten. Insbesondere Mönche und Nonnen sollten bei der Prävention nicht nachlassen. Sollten sich bei euch COVID-Symptome entwickeln, dann scheut euch nicht noch zögert, die Verantwortlichen in eurem Kloster zu informieren. Dies hat den Vorteil, dass ihr erstens eine rechtzeitige Behandlung erhaltet und zweitens das Risiko einer Ansteckung anderer geringer ist.

Diese Krankheit ist hoch ansteckend, aber in der Regel nicht tödlich, wie es heißt. Wenn ihr euch also mit COVID infiziert, müsst ihr nicht zu ängstlich sein. Trotzdem sollte man diese Krankheit nicht unterschätzen oder ignorieren; es ist wahrscheinlich von Vorteil, sich gehaltvoller zu ernähren, traditionelle tibetische Medikamente einzunehmen und so weiter. Was die Einzelheiten betrifft, bin ich der Auffassung, dass ihr euch am besten nach den Ratschlägen von medizinischen Fachleuten und euren örtlichen Gesundheitsbehörden richtet.

Jetzt möchte ich ein wenig über meine persönliche Situation sprechen. Es fällt mir jedoch schwer, die Gefühle zu beschreiben, mit denen ich auf die letzten 36 Jahre zurückblicke. Wenn ich mir ansehe, wie lange die vorherigen Karmapas gelebt haben, so wurden sie im Durchschnitt nicht viel älter als fünfzig. Obwohl ihr Leben nicht lang war, war ihr segensreicher Einfluss auf die Lehren und Lebewesen doch so enorm, dass er kaum adäquat beschrieben werden kann. Im Vergleich mit ihnen habe ich das Gefühl, die letzten 36 Jahre meines eigenen Lebens fruchtlos und sinnlos vergeudet zu haben.

Die ersten sieben Jahre meines Lebens habe ich in meiner Heimat verbracht, wo ich ein bescheidenes Nomadenleben mit meinen Eltern, Geschwistern und den anderen Einheimischen geführt habe. Heutzutage ist es schwierig, eine Umgebung zu finden, in der man so wie ich damals leben kann. Menschen, die jetzt in Städten leben, können sich nicht einmal vorstellen, wie das war, noch können sie entsprechende Erfahrungen sammeln. Aber für mich war es die mit Abstand glücklichste und freieste Zeit meines Lebens. Der Hauptgrund dafür ist, dass ich bei meinen Eltern lebte und den Schutz ihrer Liebe spürte.

Es fällt mir immer noch schwer zu beschreiben, wie sich mein Leben seit meinem siebten Lebensjahr verändert hat. Plötzlich wurde mir gesagt, ich sei die Reinkarnation des Gyalwang Karmapa und ich wurde auf einen Thron gesetzt. Ich wusste damals wirklich nicht, was es bedeutet, der Karmapa zu sein. Aber mir wurde gesagt, ich sei der Karmapa, also begann ich, mein Leben so zu führen und eine Ausbildung zu erhalten, als wenn ich der Karmapa wäre.

Von diesem Zeitpunkt an gab es große Veränderungen in meinem Leben. Die größte war die, dass meine eigenen persönlichen Gefühle und Meinungen nicht mehr wichtig waren. Dagegen bekamen die Vorstellungen anderer, wie ich zu sein hätte, mehr Bedeutung. So fühlte ich mich manchmal wie ein Schauspieler, der eine Rolle spielen sollte, von der andere dachten oder wünschten, dass ich sie spiele. So hat es sich jedenfalls für mich angefühlt. Ich bin ein Mensch, der natürlich Gefühle von Glück und Traurigkeit empfindet wie jeder andere auch. Aber ich fühlte mich, als sollte ich meine eigenen Gefühle verbergen oder dass es niemanden gäbe, dem gegenüber ich sie ausdrücken könnte. Wichtig war einzig und allein, wie eine bedeutende Persönlichkeit zu leben, so wie es andere von mir erwarteten. Ich bin vielleicht nicht der Einzige, der das so empfunden hat; ich denke, dass es wahrscheinlich auch vielen anderen tibetischen Tulkus ähnlich ergangen ist.

Wie auch immer, erst als ich älter wurde und ein wenig studiert hatte, begann ich allmählich etwas besser zu verstehen, was der Karmapa ist und wie die vorherigen Karmapas gehandelt haben. Erst dann wurde mir allmählich meine eigene Verantwortung klar. Früher dachte ich, ich müsste so tun als ob, aber das änderte sich. Ich begann zu denken, dass ich den Aktivitäten der Gyalwang Karmapas dienen sollte. Von da an brauchte ich mich nicht mehr darum zu sorgen, ob ich der Karmapa war. Ich empfand keinen Stolz mehr, Karmapa zu sein und auch kein Unbehagen mehr, vorzugeben zu müssen, er zu sein.

Jetzt denke ich, dass Gyalwang Karmapa über meinem Kopf präsent ist, wie eine Krone. Ich denke, dass mein Bedürfnis, den Titel Karmapa zu tragen, Ausdruck des Mitgefühls und des Segens der vorherigen Karmapas ist, insbesondere von Rangjung Rigpe Dorje und Seiner Heiligkeit, des Dalai Lama, und vieler anderer großartiger Wesen. Entweder das oder sie sahen, dass die äußeren Umstände es mir möglich machen würden, Lebewesen und dem Buddhismus ein wenig von Nutzen zu sein. Daher erkannten sie mich an und gaben mir den Titel. Dieses Vertrauen habe ich mir bis heute in meinem Leben bewahrt.

Insbesondere, wenn andere Menschen mir Opfergaben darbringen, mich loben oder mir Vertrauen entgegen bringen, denke ich, dass es für den Karmapa bestimmt ist, der über meinem Scheitel sitzt. Ich habe nie den Gedanken gehabt, dass diese Leute mir persönlich Opfer darbieten, mich loben oder an mich glauben. Darüber hinaus habe ich selbst auch aufrichtiges Vertrauen in Gyalwang Karmapa wie andere Menschen. Ich meditiere, dass er über meinem Kopf ist, nie von mir getrennt. Ich bete zu ihm, so viel ich kann, und bringe ihm mein Vertrauen und meine Hingabe dar. Ich tue dies so gut ich dazu fähig bin. Für mich ist dies meine eigene Art, Guru Yoga zu praktizieren.

Aber wie ihr alle wisst, ist es nicht einfach oder bequem, den Aktivitäten des Gyalwang Karmapa zu dienen. Wenn man nicht genügend Verdienste angesammelt hat oder nicht die höchste Intelligenz besitzt, ist es nicht möglich, das tatsächlich zu erreichen.

Ich habe nie wirklich als gewöhnlicher Mensch gelebt, und mir fehlt vollständig die Erfahrung, die Menschen üblicherweise haben. Außerdem hatte ich, seitdem mir der Titel Karmapa verliehen wurde, bis heute kaum Kontrolle darüber, wohin ich gehe oder was ich tue. Es war sogar schwer, das Gefühl zu haben, dass ich Freunde habe. Der Grund dafür ist, dass man sich nur mit jemandem anfreunden kann, dessen Charakter, Handlungsweise und Erfahrung mehr oder weniger mit den eigenen vergleichbar sind. Mein Leben ist sehr verschieden von dem anderer, und ich bin zu eingeschränkt in dem, wohin ich gehe und was ich tue. So war es sehr schwer, Freunde zu finden, denen ich mich nahe fühle.

Darüber hinaus waren viele Situationen in meinem Leben mit politischen und sozialen Problemen und Konflikten verbunden. Ich bin ohne mein Zutun in komplizierte Situationen geraten. Ich hatte keine Kontrolle, und es gab nichts, was ich hätte tun können. Trotzdem versuche ich immer noch, die ganze Energie meines Körpers und Geistes aufzubringen, um so viel wie möglich zu tun.  Obwohl ich es versuche, habe ich trotzdem manchmal das Gefühl, dass die Schwierigkeiten und Probleme größer und zahlreicher sind als meine Fähigkeiten.

In solchen Zeiten habe ich, abgesehen von meinen Versuchen, mir selbst Mut zu machen, das Gefühl, dass es nur wenige Menschen gibt, mit denen ich meine Gefühle teilen kann oder die mir Mut machen könnten. Trotzdem bin ich immer der Überzeugung, dass es nicht richtig wäre, die Schwierigkeiten, mit denen ich konfrontiert bin, anderen zu übertragen. Ich bin der Meinung, dass ich meine Schwierigkeiten alleine tragen muss und erinnere mich immer wieder daran.

Wenn ich also auf ein Problem stoße oder mich traurig fühle, erzähle ich es normalerweise keinem Anderen und versuche es auch nicht zu erklären. Zunächst einmal ist meine eigene Situation anders als die üblicher Menschen, und der Unterschied ist so groß, dass er schwer zu verstehen ist. Das ist ein Grund. Der zweite Grund ist der: Wenn ich Anderen von Situationen erzähle, die mich glücklich und aufgeregt machen, sind sie glücklich. Dann fühle ich mich auch gut, und das ist das Beste. Wenn ich stattdessen anderen von meinem Leid und den Dingen erzählte, die schlecht laufen, würden sie sich Sorgen machen und ich selbst würde mich unwohl fühlen. Das hat keinen Sinn.

Kurz gesagt, egal, wie viele Schwierigkeiten und wie viel Einsamkeit ich in meinem Leben erfahren habe, die meiste Zeit denke ich an Dinge, die mich glücklich gemacht und mir Freude bereitet haben. Es gab schwierige Situationen, in denen ich mir eine Zeit lang Sorgen gemacht habe und Probleme hatte, aber ich habe sie nicht lange in meinem Geist festgehalten

Während der Kagyü Mönlams konnte ich zum Beispiel einige Monate mit Mönchen aus  verschiedenen Klöstern und mit Menschen unterschiedlicher Nationalitäten arbeiten. Diese Zeiten sind sehr arbeitsreich und manchmal vergesse ich sogar zu essen, aber ich fühle mich wirklich glücklich. Der Grund dafür ist, dass ich das Gefühl habe, etwas Sinnvolles zu tun. Als ich in Indien war, waren die angenehmsten Zeiten die, in denen ich etwas getan habe und mit vielen Dharma-Freunden zusammen war. Das machte mir die größte Freude. Von daher konnte ich mich nur dank all eurer Hilfe und Unterstützung glücklich und erfüllt fühlen. Aus diesem Grund möchte ich euch danken, indem ich diese Worte nicht nur sage, sondern sie aus tiefstem Herzen meine.

Das ist nur ein kleiner Ausschnitt aus meinen bisherigen Lebenserfahrungen.

Heute ist mein Geburtstag, und ich möchte euch nichts anderes sagen als „Danke“– nicht: „Bitte tut dies“ oder „Tut das nicht“. Dennoch möchte ich diese Gelegenheit nutzen, um darüber zu sprechen, worüber ich nachgedacht habe und über ein paar Pläne für die Zukunft.

Im Allgemeinen denke ich, dass wir, egal ob wir uns als Tibeter, als tibetische Buddhisten oder Kagyüpas bezeichnen, darin gleich sind, dass wir Freude und Leid erfahren; unser aller Leben ist miteinander verflochten. Das halte ich für wichtig. Insbesondere aufgrund des großen technologischen Fortschritts können Menschen unabhängig davon, wie weit sie voneinander entfernt sind, sofort miteinander in Kontakt treten. Egal, wo auf der Welt ein Ereignis stattfindet, egal, wie groß oder klein es ist, wir können schnell davon erfahren, solange die Nachricht noch ganz frisch ist. Daher haben wir alle das Gefühl, dass diese Welt allmählich immer kleiner wird.

Ebenso werden viele Länder internationaler und es gibt mehr Verbindungen zwischen Menschen unterschiedlicher Nationalitäten. So sind die Dinge eben. In einer solchen Umgebung, egal ob wir Tibeter, tibetische Buddhisten oder Kagyüpa sind, muss die Reichweite unserer Visionen und unseres Denkens unbedingt viel breiter und tiefer sein, als das jemals  zuvor der Fall war. Das sehe ich als wichtig an.

Die Ursache dafür ist, dass die meisten Menschen internationaler und immer mehr zu Weltbürgern werden. Wenn wir unter uns nur unseren eigenen Labrang, unser eigenes Kloster oder unsere eigene Linie sehen, dann halte ich das für eine feudale Denkweise. Stattdessen sollten wir uns in dem Augenblick, in dem wir „tibetischer Buddhismus“ oder „Kagyü“ sagen, natürlich an die Gemeinsamkeiten oder die Gesamtheit der Lehren erinnern. Wenn die Lehren als Ganzes gedeihen, zunehmen und exzellent werden, dann werden auch die Individuen, die dem Buddhismus folgen, die Labrangs und Klöster blühen und gedeihen. Ein solches Verständnis und eine solche Intention zu haben, halte ich für äußerst wichtig.

Wenn wir stattdessen keine weite Perspektive und Denkweise einnehmen, wenn wir wahrnehmen, dass einige unserer Klöster oder Labrangs gedeihen, dann werden wir getäuscht. Und wenn es ihnen gut geht oder sie gedeihen, sind wir erstaunt. Wenn wir keine Ahnung haben, was in der Welt vor sich geht, ist das so, als ob die Sonne auf die Welt scheint, wir aber sitzen im Zimmer und haben die Fensterläden geschlossen. Früher haben   wir Tibeter uns in einen abgelegenen Teil der Welt zurückgezogen und blieben dort, ohne zu bemerken, was in der Welt um uns herum vor sich ging. Wir alle wissen, was am Ende geschah.

Somit existieren wir alle – im Großen die ganze Welt oder im Kleinen wir Tibeter, alle unsere Abstammungslinien, alle Kagyüs – in einer Beziehung, in der sich alles, was wir tun, gegenseitig beeinflusst. Wir sind wechselseitig abhängig; wir verlassen uns aufeinander. Wenn wir, anstatt uns in Fraktionen aufzuteilen, alle unsere Kräfte bündeln, dann glaube ich fest daran, dass wir in der Lage sein werden, uns gegenseitig Glück zu bringen und unsere Schwierigkeiten zu überwinden.

So konnte ich in den letzten Jahren einige Male versuchen zu helfen, bessere Verbindungen innerhalb der Kagyü-Linien herzustellen und insbesondere eine Versöhnung innerhalb der Kamtsang herbeizuführen. Aber vor allem dank all derjenigen, die eine weite Sichtweise haben, glaube ich, dass wir große Verbesserungen gesehen haben. Doch die Ergebnisse haben noch nicht alle meine Hoffnungen erfüllt. Daher ist es mein Wunsch, es weiterhin unerschütterlich zu versuchen. Ich hoffe, dass meine Dharma-Freunde und -Gefährten mich dabei unterstützen und helfen werden.

Harmonie ist äußerst wichtig. Insbesondere ist Harmonie in der Sangha die Grundlage für das Aufblühen der Lehren. Wenn wir wirklich wollen, dass die Lehren gedeihen, scheint mir dies nicht möglich, wenn wir Anhaftung, Hass und Neid aufeinander hegen.

Das Wichtigste ist, dass wir, egal welcher Dharma-Linie wir angehören, zuallererst wissen müssen, wer wir selbst sind und was unsere Ursprünge sind. Um zu wissen, was wir tun sollen, müssen wir die Geschichte unserer Linie, deren Kern-Unterweisungen, rituelle Praktiken usw. verstehen und studieren. Sobald wir sie studiert haben, halte ich es für sehr wichtig, dass wir uns bemühen, die Linie aufrechtzuerhalten und sie fest und stabil zu machen. Wenn wir das tun, können wir darauf vertrauen, dass wir Anhänger und Schüler unserer Linie sind und erkennen, dass wir unsere Basis nicht verloren haben.

In ähnlicher Weise werden wir, wenn wir die Geschichte, die Kern-Unterweisungen und rituellen Praktiken unserer eigenen Linie gut kennen, in der Lage sein, die besonderen Qualitäten unserer Linie hervorzubringen und sie anderen zu zeigen. Wenn wir nicht selbst für  unsere Dharma-Linie sorgen, wird es schwierig sein, andere zu finden, die das tun und die sie für wichtig halten.

Nicht-sektiererisch zu sein ist extrem wichtig. Nicht-sektiererisch zu sein bedeutet, dass wir den Buddhismus auf sehr weite, umfassende Weise betrachten sollten, ohne Fraktionen zu bilden – es ist eine Philosophie, die uns zeigt, wie wir denken sollten. Es bedeutet nicht, dass wir sagen sollten: „Ich gehöre zur nicht-sektiererischen Tradition“, um (damit) eine eigene Linie zu gründen. Wenn wir das täten, wäre es schwer zu behaupten, sie sei nicht-sektiererisch.

Egal, ob wir in der Sakya-, Geluk-, Kagyü- oder Nyingma-Linie sind, es ist absolut nicht so, dass wir dadurch nicht nicht-sektiererisch sein könnten oder dürften. In allen Linien ist es üblich, dass wir, wenn wir zum ersten Mal den Dharma betreten, eine Verbindung zu einem bestimmten Lama und einer Linie eingehen. Ich sehe diese Verbindung als unsere Grundlage und Basis für den Zugang zu den Belehrungen. Wir müssen sie wertschätzen. Auf dieser Basis oder dieser Grundlage sollten wir so vielen verschiedenen Linien und so vielen verschiedenen Lamas wie möglich folgen. Wenn uns jedoch die Basis oder Grundlage fehlen würde und wir uns stattdessen mit jedem Dharma beschäftigen würden, der uns vor die Nase kommt, hätten wir keine stabile Grundlage im Dharma und keine Linie als Quelle. Ich denke, dass dann die Gefahr besteht, zum Zeitpunkt des Todes niemanden zu haben, den wir anrufen und dem wir uns anvertrauen können.

In der Kagyü-Tradition haben uns zum Beispiel die Kagyü-Vorfahren ein außergewöhnliches Erbe hinterlassen: Marpas und Ngokpas Erklärungen der Tantras, Milarepas Kraft und Kern-Unterweisungen, Gampopas „Reinigung der Essenz“, „das Aufzeigen der drei Kayas“ und „Untrennbarkeit von Prana und Geist“ durch die Karmapas, Lama Shangs „Ultimativer höchster Pfad“, der „Schnelle Pfad des Mischens und der Übertragung“ der Barom, Pakmodrupas „Geheimes Mantra“, die „39 Befreiungen“ der Taklung, der „Eine Punkt der drei Gelübde“ der Drikung, Tsangpa Gyares „Einer Geschmack der wechselseitigen Abhängigkeit“ und Lorepas und Götsangpas „Hingabe und Abscheu(gegen Samsara) und so weiter. Jede dieser Lehren ist vollständig mit allen Qualitäten, aber es gibt zahlreiche Unterschiede, wie zum Beispiel die Namen der Gurus rezitiert werden und wie sich der Guru um einen kümmert. Aber viele dieser Anweisungen waren uns gleichgültig, und sie sind daher verloren gegangen. Deswegen müssen wir die Pflege unseres Erbes als unsere Hauptverantwortung betrachten. Das ist der erste Punkt, auf den wir unsere Energien richten müssen.

Deshalb plane ich, dass unsere Kamtsang Shedras in den kommenden Jahren die „Drei Gelübde“ der Taklung, die „eine Absicht“ der Drikung, den „Mahamudra Schatz des Siegreichen“ der Drukpas usw., je ein Thema pro Jahr, studieren und diskutieren.

Darüber hinaus wurde schon angesprochen, dass ich einen Kommentar zum Juwelenschmuck der Befreiung schreibe und Anfang dieses Jahres habe ich die Vier Dharmas von Gampopa gelehrt. Dabei hatte ich die Gelegenheit, viele Kagyü-Texte durchzusehen. Was ich dabei empfinde, ist, dass wir, wenn wir die Intentionen von Marpa, Milarepa, Gampopa und den anderen Kagyü-Vorvätern in ihrer Gesamtheit verstehen wollen, uns auch die Kern-Unterweisungen, Kommentare, Fragen und Antworten anschauen sollten, die von den Meistern aller Kagyü-Linien, der vier älteren und acht jüngeren, geschrieben wurden. Ich bin zur Überzeugung gelangt, dass uns das angemessene Studium und Erforschen (dieser Texte) ermöglichen wird, die besonderen Merkmale der Sichtweise, Meditation und des Verhaltens sowie der Grundlage, des Weges und der Frucht der Kagyü-Linie herauszuarbeiten und klar zu verstehen. Aus diesen Gründen halte ich es für sehr wichtig, dass wir innerhalb unserer Kamtsang-Tradition die Besonderheiten und Kommentartraditionen der anderen Kagyü-Linien studieren, lehren und diskutieren, und ich habe vor, das zu tun.

Wir sagen oft, dass es zwei Traditionen gibt, die von dem großen Wesen Marpa, dem Übersetzer, stammen: die Linie der Praxis und die Linie der Erklärungen. Die Linie der Praxis wurde ohne Unterbrechung von Milarepa weitergegeben und ist das, was wir heute Dakpo Kagyü nennen. Was die Linie der Erklärungen angeht, gibt es mehrere, übertragen von Metön, Tsurtön und Ngokpa. Aber heutzutage ist die Erklärungslinie stark rückläufig – die Situation ist schwierig. Diejenigen Erklärungslinien, für die es noch eine Übertragung durch Ermächtigungen und Lesen gibt, sind als „Die Sieben Ngok- Mandalas“ bekannt.

Es gab zwei Hauptübertragungen der Ngok Chöku Dorje Erklärungslinie, die Ram- und die Ngok-Tradition. Kunkhyen Chöku Öser soll einen Text geschrieben haben, in dem steht, dass die Traditionen von Ram und Ngok beide die gleiche Absicht haben. Von diesen beiden, Ram und Ngok, wurde die Ngok-Tradition von Ngok Chöku Dorjes Sohn Dode weitergegeben und teilte sich in zwei Übertragungen auf, die Tsangtsa- und die Gyaltsa-Übertragung. Die Tsangtsa-Übertragung wurde an Treushing Rinpoche Jangchup Palwa weitergegeben, den Lord Tsongkhapa anscheinend sehr achtete und häufig als „in der Tradition von Ngok gelehrt und erwacht“ lobte. Zu den Schülern von Jangchup Palwa gehörten zu dieser Zeit Jamyang Chöje Tashi Palden, Taklung Ngawang Drakpa, Gö Lotsawa Shönnu Pal, Panchen Jampa Lingpa und viele andere gelehrte Schüler. Er lehrte das Hevajra-Tantra anhand eines Manuskripts namens Dorjema, und jedes Mal, wenn er es lehrte, machte er ein Zeichen. Er soll 182 Markierungen gemacht haben.

Irgendwann ging die Erklärungslinie von Vajra Catuhpitha verloren, sodass Lord Tsongkhapa zu Jangchup Palwa sagte, dass er sie unbedingt wiederbeleben müsse. Jangchup Palwa besuchte einen alten Lama im Kloster Treushing namens Loppön Tsulgön und erhielt von ihm die Übertragung des Tantras von Vajra Catuhpitha. Danach unterrichtete er Vajra Catuhpitha viele Male.

Insbesondere erhielt Trimkhang Lotsawa Sönam Gyatso die Ermächtigungen der Sieben Ngok- Mandalas und schrieb vollkommen neue Sadhana- und Mandala-Ritualtexte dafür. Später übertrug er dem Vierten Shamar Chennga Chödrak die Ermächtigungen der Sieben Ngok-Mandalas. Bei dieser Gelegenheit gab es viele wundersame Zeichen, wie zum Beispiel Regenbögen, die sich um die Ränder des Mandalas bildeten. Panchen Sönam Drakpa schrieb in seiner Geschichte der Kadampa, dass Trimkhang Lotsawas wichtigste Tätigkeit darin bestand, die Tradition der Ngok-Mandalas zu verbreiten.

Mahasattva Lodrö Gyaltsen von Dema Tang ging auch nach Shung und erhielt von Jangchup Palwa viele der Ngok-Dharma-Unterweisungen. Laut seiner Befreiungsgeschichte nahm er Dhumangari als seinen Dharma-Schützer. Als Druk Gyalwang Chöje nach Shung ging und Jangchup Palwa traf, sagte Jangchup Palwa zu ihm: „Ich habe bis jetzt auf dich gewartet. Jetzt kann ich den Dharma seinem Besitzer zurückgeben.“ Dann gab er ihm alle Ermächtigungen und Kern-Unterweisungen der Ngok-Mandalas, einschließlich der kleineren Lehren, und vertraute ihm die Lehren an.

In ähnlicher Weise gingen die beiden bekannten Meister der Shennga Kagyü, Pakpa Lha und Shiwa Lha, nach Machen in Tsari, wo sie die Sieben Ngok-Mandalas von Chöje Tsangchenpa zusammen mit ihren Zusatzlehren erhielten. Die Biographien vieler tibetischer Meister beschreiben, wie sie die Lehren und Ermächtigungen der Sieben Ngok-Mandalas empfingen. Die Biographie des fünften Dalai Lama von Gönpo Sönam Chokden berichtet, wie er die Sieben Ngok-Mandalas von Ngoktön Jamyang Öser erhielt.

In späteren Zeiten, als der erste Jamgön Kongtrul die Sieben Ngok-Mandalas zusammenstellte, konsultierte er alte Manuskripte, darunter die von Trimkhang Lotsawa, Shamar Chennga Chödrak, Jetsun Taranatha und Karma Chakme. Die meisten dieser Texte sind noch erhalten, was ein Glücksfall ist.

Kurz gesagt, wenn wir von den „Sieben Ngok-Mandalas“ sprechen, umfassen sie das Mandala der 9 Gottheiten von Hevajra; seine Mutterform, das Mandala der fünfzehn Gottheiten von Nairatmya; das Mandala der neunundvierzig Gottheiten von Vajra Panjara; die Vaterform von Vajra Catuhpitha Naljor Namkha; die Mutterform, die Weisheits-Dakini; Mahamaya oder die Große Illusion und Guhya Manjushri. Der fünfte Dalai Lama stellt in seiner Aufzeichnung der Lehren fest, dass manchmal Dhumangari anstelle von Guhya Manjushri als einer der sieben erwähnt wird. Er soll aber angemerkt haben, dass das nicht ganz richtig ist. Es wird jedoch nicht klar angegeben, welche Meister Dhumangari in die Sieben Ngok-Mandalas aufgenommen haben.

Neulich haben wir zahlreiche alte Manuskripte aus Tibet erhalten, darunter viele aus den Stammsitzen der Ngok-Tradition. Dazu gehören viele der von mir erwähnten Manuskripte, darunter auch die Texte von Trimkhang Lotsawa. Die meisten Übertragungen der Ermächtigungen wurden vollständig an Situ Panchen Tsuglak Chökyi Nangwa übertragen. Seine Reinkarnation, Situ Pema Nyinche, erhielt ebenfalls die vollständige Übertragung, und es wird gesagt, dass der Gelukpa Amchok Geshe Tulku Könchok Tenpay Gyaltsen sie alle empfing. Ich glaube, das wird für unsere Forschung nützlich sein.

Kurz gesagt, Jamgön Kongtrul kombinierte die anderen Tantras von Marpa, dem Übersetzer, mit den Sieben Ngok-Mandalas zu einer Sammlung, die wir heute die „Dreizehn Tantras von Marpa“ nennen. Die Tatsache, dass die Überlieferungslinien der Ermächtigung und Übertragung dieser dreizehn Tantras noch vorhanden sind, ist der unvorstellbaren Güte von Jamgön Kongtrul Lodrö Thaye zu verdanken, wie ihr alle wisst.

Die Schatzkammer der Kagyü-Tantras, die Jamgön Kongtrul zusammengestellt hat, enthält hauptsächlich Tantras, nicht Sutras. Innerhalb der Tantras ist es in erster Linie das Unübertroffene Tantra, und darin vor allem Tantras aus der Tradition von Marpa, die hauptsächlich von den Kamtsang und Drikung-Kagyu weitergegeben wurden. Jamgön Kongtrul selbst sagte, dass er sich die Tantras von Marpa zu Herzen genommen hat und verhindern wollte, dass ihre Weitergabe der Reifung und Befreiung verloren ging. Wie er sagte, ist es für uns alle, die wir Marpa, dem Übersetzer, folgen, wichtig, dieses Erbe zu schätzen und es zu praktizieren. Das haben die großen Meister der Vergangenheit gesagt, und  auch ich empfinde diese Gewissheit zu einem gewissen Grad in mir.

Kurz nach meiner Ankunft in Indien hielten wir in Varanasi die Karma-Kagyü-Konferenz ab. Zu dieser Zeit wurde jedem Kloster eines der dreizehn Marpa-Tantras zugewiesen, und ich schlug vor, dass sie jährlich Pujas dieser Tantras abhalten sollten. Die Klöster haben getan, was ich vorgeschlagen habe, und betrachten sie jeweils als ihre besondere Gottheit. Sie haben die Ermächtigungen und Übertragungen von den Herzenssöhnen empfangen, das Ritual mit Kyabje Vajradhara Tenga Rinpoche studiert und so weiter. Auf diese Weise haben sie großes Interesse gezeigt und praktizieren (die Tantras) bis heute.

Zurzeit von Situ Panchen wurde in Jangyul ein Index der Gottheiten des Unübertroffenen Tantra zusammengestellt und siebenundzwanzig Thangkas gemalt. Von fast allen diesen Übertragungen habe ich alte Thangkas erhalten. Es schien mir, dass die Klöster, die die Pujas abhielten, die (dazu gehörenden) Thangkas sehen sollten, und so konnte ich sie den Klöstern anbieten. Außerdem ließ ich sie vor einigen Jahren wissen, dass ich zum Bau von Retreatzentren für die Marpa-Tantras etwas beitragen könnte.

Ich habe auch die Idee, dass ich vielleicht eine Ergänzung zu Jamgön Kongtrul Lodrö Thayes Schatzhaus der Kagyü-Tantras erstellen sollte. Wie ich bereits erwähnt habe, enthält der Schatz des Kagyü-Tantra von den vier Tantra-Klassen hauptsächlich Texte des Unübertroffenen Tantra. Sogar innerhalb des Unübertroffenen Tantras gibt es einige in Dusum Khyenpas Fünf Zusammenstellungen von Fünf Gottheiten. Nicht alle diese Gottheiten sind im unübertroffenen Tantra enthalten, aber Vajravarahi, Chakrasamvara und Hevajra sind es. Es gibt darüber hinaus die Lehren über Gyalwa Gyatso, die von Rechungpa weitergegeben wurden, und andere wichtige Tantras, die nicht im Schatz der Kagyu-Tantras enthalten sind.

Es gibt auch Texte aus den niederen Tantras wie Akshobhya und Sarvavid sowie Tantras, die zuvor in der Karma Kamtsang (Tradition) überliefert wurden, aber jetzt verloren gegangen sind, wie die Abhisambodhi von Vairochana, Vajradhatu usw. aus der Zeit des sechsten Karmapa. Die Ermächtigungen, Übertragungen, Mandalas und Rituale stammen wahrscheinlich größtenteils aus der Sakya- und Butön-Tradition, also dachte ich, wenn ich die Übertragung dieser Ermächtigungen wiederherstellen könnte, könnten wir sie einbeziehen und Texte aus allen vier Tantra-Klassen haben. Dann wäre der Schatz der Kagyü-Tantras noch vollständiger, als er es ohnehin schon war, wie mir scheint.

Jemandem wie mir fehlen die notwendigen Qualitäten, und ich bin überhaupt nicht geeignet,  eine solche Arbeit zu leisten, aber wie das tibetische Sprichwort sagt, können wir nur auf den Knien gehen – wir befinden uns in einer Zeit, in der wir tun müssen, was wir können. Insbesondere Guru Vajradhara Tai Situ Rinpoche, Goshri Gyaltsap Rinpoche, Khenchen Thrangu Rinpoche, Kyabje Sangye Nyenpa Rinpoche und andere große Meister leben noch. Wir können immer noch Belehrungen zu Texten erhalten, die von den Lamas der Vergangenheit geschrieben wurden. Darüber hinaus sind die Übertragungen vieler äußerer und innerer Tantras noch in anderen Dharma-Linien vorhanden.

In der Vergangenheit wurde ich vom „neunten Mangel an Freizeit“ überwältigt – einer hektischen Umgebung – und das hat die Dinge wirklich getrübt. Aber neuerdings habe ich ein wenig Zeit, um etwas Abstand zu jener hektischen Umgebung zu halten. Während dieser Zeit habe ich damit begonnen, so viele Texte wie möglich über die Praxislinie der Karma Kamtsang zusammenzustellen, und ich werde versuchen, die Linien ihrer Ermächtigungen und Übertragungen wiederherzustellen. Wenn alles gut geht, werde ich schließlich so viele Ermächtigungen, Übertragungen und Kern-Unterweisungen wie möglich von Tantras aus anderen Kagyü-Traditionen einbeziehen. Ich möchte das Schatzhaus der Kagyü-Tantras zu einer allgemeinen Sammlung von Kagyü-Tantras machen. Wenn mir das gelingt, werden wir in Zukunft, wenn wir Kagyü-Lamas Ermächtigungen aus dem Kagyu-Tantra-Schatzhaus erteilen, die Ermächtigungen, Übertragungen und Kern-Unterweisungen der meisten Kagyü-Linien empfangen können. Ich glaube, dies wird auch dazu beitragen, die Texttraditionen für lange Zeit zu bewahren.

Was die Erklärungen von Tantras im Allgemeinen angeht, gab es in Tibet in der Vergangenheit eine Fülle von Erklärungen zu Tantras, Ermächtigungen, Übertragungen und Kern-Unterweisungen von Marpa und seinen Schülern, aber die meisten davon sind verloren gegangen. So ist es zum Beispiel bei den Karma Kamtsang kaum üblich, die Tantras zu lehren, abgesehen von den Lehren über die Tiefgründigen Inneren Prinzipien, das Hevajra-Tantra und das Erhabene Kontinuum.

In diesem Jahr werden wir daher eine Sommerunterweisung haben, die hauptsächlich für Mönche und Nonnen in den Tantra-Abteilungen der Hauptklöster stattfindet, wie ich bereits angekündigt habe. In erster Linie ist es mein Ziel, die Lehre und das Studium der Tantras wieder zu beleben. Ich habe mir überlegte, dass ich dieses Jahr für die erste Sommerbelehrung eine kurze Geschichte der Tantras des geheimen Mantras geben werde. Ab dem nächsten Jahr werden wir dann, nach der Praxis zur Zeit des achten Karmapa, Mikyö Dorje, mit den „Fünfzig Versen über den Guru“ und der Erklärung zum Bruch von Wurzelgelübden aus dem „Ozean des Samaya“ des dritten Karmapa Rangjung Dorje beginnen. Dann werden wir die Lehren über Kriya, Charya, Yoga und die Unübertroffenen (Annutarayoga) Tantras der Reihe nach durchgehen. Ebenso werden wir die Darstellungen der Wege und Stufen sowie die Vorbereitungen der Rituale besprechen. Wenn wir uns treffen können und die Bedingungen stimmen, können wir vielleicht auch die großartigen Tantras von Chakrasamvara, Hevajra und Guhyasamaja studieren.

Vor einigen Jahren konnte ich die Übertragung und Erklärung von Lord Tsongkhapas Kommentar zum Guhyasamaja-Tantra von Seiner Heiligkeit, dem Dalai Lama, erhalten. Mein Hauptziel ist es, die Lehren von Marpas Tradition des Guhyasamaja innerhalb der Kagyü zu verbreiten. Ebenso möchte ich so viele Ermächtigungen und Übertragungen von Chakrasamvara, Hevajra, Catuhpitha usw. erhalten, wie ich kann, und ich hoffe, dass ich sie anderen lehren kann.

Mit meiner weitschweifigen Rede habe ich einen Großteil eurer Zeit verschwendet, also brauche ich nicht mehr viel zu sagen. Abschließend möchte ich noch einmal allen aus allen Linien und allen meinen Freunden meine Wertschätzung für diese Feier meines Geburtstages aussprechen. Insbesondere möchte ich allen Kagyü-Klöstern in Tibet und im Ausland danken, die das Pflanzen von Bäumen, das Aufräumen von Müll in ihren lokalen Umgebungen, die vegetarische Lebensweise, das Freisetzen von Tieren, Spenden an Bedürftige und viele andere Aktivitäten unternommen haben, um unheilsame Handlungen aufzugeben und Tugenden zu praktizieren. Das ist eine sinnvolle und bewegende Art, meinen Geburtstag zu feiern. Dafür möchte ich Euch allen danken.

Während ich in Indien war, habe ich im Kloster Gyuto gewohnt. Jedes Jahr haben sie dort meinen Geburtstag mit Wunschgebeten und einer Zeremonie gefeiert. Auch in diesem Jahr haben sie trotz der zusätzlichen Schwierigkeiten durch die Coronavirus-Epidemie eine Zeremonie abgehalten und Gebete rezitiert. Dafür möchte ich ihnen besonders danken.

Abschließend möchte ich mein Gebet aussprechen, dass Seine Heiligkeit, der Dalai Lama, ein langes Leben haben und dass sich alle seine Wünsche spontan erfüllen mögen. Mögen auch alle großen Lamas aller Linien – Sakya, Kagyü, Geluk und Nyingma –  lange leben und mögen ihre Aktivitäten gedeihen. Mögen diejenigen, die die Lehren der Dakpo Kagyü aufrechterhalten, lange leben, mögen ihre Aktivitäten gedeihen und mögen ihre Wünsche spontan erfüllt werden. Vielen Dank.

Transkription der englischen Übersetzung wurde von der offiziellen Website von S.H. Karmapa übernommen:
The Official Website of the 17th Karmapa: http://kagyuoffice.org

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