Seine Heiligkeit der XVII. Karmapa, Ogyen Trinley Dorje

Der erste Schritt zur vollen Ordination für tibetisch-buddhistische Nonnen

Bereits am 28. Dezember 2016 kündigte der Karmapa offiziell in einem historischen Brief an seine Kagyü Nonnenklöster in Indien, Nepal und Bhutan an, dass der Prozess der Festlegung der vollen Ordination für Nonnen in der Karma Kamtsang Tradition beginnen würde. Er teilte mit, dass an dem Ort der Erleuchtung Buddhas in Bodh Gaya am glückverheißenden Tag des Vollmondes im Monat der Wunder (12. März 2017) den Nonnen, die die volle Ordination nehmen wollen, die Shramaneri (Samen) Gelübde verliehen würden.

Die Bereitschaft Karmapas, den Nonnen die Möglichkeit für die volle Ordination zu erschließen, spiegelt sein modernes und tiefes Verständnis der Geschlechterprobleme im Buddhismus und seine uneingeschränkte Unterstützung für Frauen im Buddhismus.

Am 12. März 2017 an der Mahabodhi Stupa am Morgen des ersten Vollmondes im tibetischen Jahr des Feuer-Hahnes. Im Schatten des Bodhi-Baums sitzen neunzehn Nonnen in der Nähe des Vajra-Sitzes, dem Ort der Erleuchtung Buddhas. Auf dem Weg zur vollen Ordination hatten achtzehn von ihnen am Vortag an der gleichen Stelle die Shramaneri-Gelübde genommen. Aber eine der Nonnen ist an diesem Tage hier, um die Gelübde an diesem glückverheißenden fünfzehnten Tag des Monats der Wunder zu nehmen.

Bald kommt der Karmapa am Haupttor an, geführte von einer älteren Nonne, die einen langen Weihrauchhalter und den gelben Kokadenhut trug. Seine Heiligkeit ging den roten Teppich hinunter in den Haupttempel zu der berühmten Statue des meditierenden Buddha. Im Inneren opferte der Karmapa dem Buddha schimmernde goldene Roben mit Almosenschüsseln voller Gläser mit Honig und Früchten.

Die Prozession ging dann nach draußen und um den großen Stupa herum zur Rückseite, wo ein Thron und ein Altar unter den sich ausbreitenden Ästen des Bodhi-Baumes standen. Der Karmapa nahm Platz, und hinter ihm, oberhalb einer Reihen von Opfergaben, war ein Thanka mit einem besonderen, stehenden Avalokiteshvara. Er hielt eine Lotusblüte in seiner linken Hand und aus der Handfläche seiner rechten Hand emanierte ein Bild von Ananda, einem nahen Jünger und Cousin des Buddha. Wie der Karmapa an anderer Stelle erklärt hatte, ist Ananda für sein großes Mitgefühl bekannt, aus dem heraus er den Buddha sehr oft im Namen von Mahaprajnapati gebeten hatte, auch den Frauen Gelübde zu gewähren. Es ist Anadas Erfolg, dass Frauen in der Lage waren, sich weiterzuentwickeln und die Ordination zu nehmen.

In Anerkennung seiner entscheidenden Rolle wird Ananda angerufen und gepriesen in der »Ritualpraxis für das Blühen des Dharma in Frauen- und vor allem Nonnengemeinschaften, basierend auf der Untrennbarkeit von Avalokiteshvara und Ananda«, komponiert von Karmapa. Neben den auch von Frauen gesprochenen Texten, die von Karmapa neu geschrieben wurden, enthält das Ritual die traditionelle Zuflucht, das Bodhischitta und das Sieben-Zweige-Gebet sowie eine schöne Lobpreisung des Avalokiteshvara, die Mahayana Sojong-Gelübde, die Geschichte von Mahaprajnapatis Bitten und das Flammende Dharma Wunschgebet, ein Flehen für die Blüte des Dharmas aus dem Sutra der Essenz des Mondes.

Das Herzstück der Zeremonie dieses Morgens war die Rezitation dieser Ritualpraxis für das Blühen des Dharma. Die breite Treppe, die zum Bodhi-Baum führte und das Gelände rundum waren gefüllt mit Frauen aus Ost und West, die sich freuten, ein Teil dieses historischen Ereignisses zu sein und dankbar waren für Karmapas uneingeschränkte Unterstützung von praktizierenden Frauen.

Nach der Ritualpraxis sprach Tsunmo Tsultrim Sangmo, eine der neunzehn Nonnen, welche die Gelübde genommen hatten:

Als Vertreter aller Shramaneris, die jetzt die Gelübde in der Dharmaguptaka-Tradition genommen haben, möchte ich mich bei Seiner Heiligkeit dem Gyalwang Karmapa bedanken, uns diese Gelegenheit gegeben zu haben. …. Während der zweiten Arya Kshema Winter Versammlung im Jahr 2015 sprach Seine Heiligkeit von der Tatsache, dass es in den meisten buddhistischen Ländern ausschließlich Bhikshus gibt, während die Tradition der Bhikshunis in nur wenigen Ländern gepflegt wird. Insbesondere sagte er, dass diese Tradition im Tibetischen Buddhismus wieder hergestellt werden sollte. Wenn das gelänge, wäre die vierfache Gemeinschaft von Bhikshus und Bhikshunis und von Laien und Frauen mit den fünf Geboten wieder hergestellt. Seine Heiligkeit erklärte, dass mit der kompletten vierfachen Gemeinschaft großer Nutzen entstehen würde. Zu diesem Zeitpunkt waren viele der Nonnen inspiriert, und in ihrem Namen trug ich die Bitte vor, in diesen Gelübden trainieren zu können.

Tsultrim Sangmo sprach dann von der großen Verantwortung, welche die neunzehn Nonnen übernommen haben:

Wir sollten niemals von den drei Dharma-Roben getrennt werden. Wir sollten niemals von den drei Übungen getrennt werden. Wir sollten immer die Vorschriften in unserem Geist halten und sie so rein halten wie wir können. Es liegt in unserer Verantwortung, dies zu tun, um die Bhikshuni-Ordination innerhalb der tibetischen Mulasarvastivadin-Tradition wiederherstellen zu können. Und das ist eine Verantwortung für alle Nonnen. Es ist etwas, worüber Seine Heiligkeit und alle Meister der großen Traditionen gesprochen haben, und es ist wichtig für uns alle, die Inspiration und Verantwortung ernst zu nehmen. …

Schließlich sprach Seine Heiligkeit, beginnend mit seinem Dank:

An der heiligen Stätte des Bodhi-Baumes wurde die »Ritualpraxis für das Blühen des Dharma in Frauen- und vor allem Nonnengemeinschaften, basierend auf der Untrennbarkeit von Avalokiteshvara und Ananda«, und das Ritual der Verleihung der Shramaneri-Gelübde erfolgreich abgeschlossen. Bei dieser wundervollen Gelegenheit möchte ich unsere besonderen Gäste, die Gelongmas aus Taiwan, und vor allem die neue Shramaneris begrüßen.

Im Allgemeinen ist das Shramaneri-Gelübde in allen vier buddhistischen Traditionen von Tibet verfügbar, aber heute morgen wurde ein besonderes Shramaneri-Gelübde gegeben. Warum ist es besonders? Weil dieses Gelübde der erste Schritt zur Wiederherstellung der Bhikshuni-Ordination in unserer Tradition ist. Und der Grund, warum es so wichtig ist, diese Gelübde wiederherzustellen, ist, dass nach dem Standpunkt der Vinaya alle Gelübde, die Frauen nehmen können, von Bhikshunis gegeben werden sollen und alle Gelübde, die Männer nehmen können, sollten von Bhikshus gegeben werden.

Im Tibetischen Buddhismus haben wir aber keine fortlaufende Linie von Bhikshunis gehabt, so dass Bhikshus ihren Platz eingenommen und den Frauen Gelübde gegeben haben. Es ist ziemlich schwer zu sagen, dass dies ganz im Einklang mit der Bedeutung und Absicht der Vinaya ist. Aus diesem Grund, so dass Frauen tatsächlich Gelübde nehmen können, sind Bhikshunis unentbehrlich. Wir brauchen Frauen, um Bhikshunis zu werden. Deshalb ist es so wichtig, das Bhikshuni-Gelübde wiederherzustellen.

Die vollständigen Lehren des Buddha sind in den drei höchsten Übungen (Disziplin, Samadhi und Prajna oder Weisheit) enthalten. Und die Ausbildung in der Disziplin bildet die Grundlage für die Übungen von Samadhi und Prajna. Mit einem weiblichen Körper können Frauen aber nicht die volle Ausbildung in der Disziplin erreichen, was es schwierig macht, die Lehren des Buddhismus in ihrer Gesamtheit zu praktizieren.

Aus seinem großen Mitgefühl heraus gab unser Lehrer, der Buddha, Lehren für Männer und Frauen, so dass sie alle in den Dharma eintreten konnten. Ohne jeden Unterschied konnten Männer und Frauen die drei Übungen voll ausführen. Es ist von Vorteil und wichtig für alle von uns, um sicherzustellen, dass jeder in der gleichen Weise üben kann. Es ist unsere Verantwortung und etwas, das uns alle, die den buddhistischen Lehren folgen, verfolgen und machen sollen.

Dass ich den tibetischen Nonnen die Möglichkeit gebe, die komplette Disziplin der Pratimoksha zu üben, ist nicht etwas, das aus dem Blauen kam. Es ist nicht etwas, dass ich mir ausgedacht habe oder allein entwickelte.

Eigentlich habe ich zunächst nicht viel Interesse an dieser Frage gehabt und habe nicht viel darüber nachgedacht. Zuerst begannen wir zu diskutieren, als wir die neuen Verhaltenskodizes für den Kagyu Monlam entwickelten. An diesem Punkt haben wir diskutiert, wie wir die Sitzplätze und das Verhalten für die Bhikshus und Novizen regeln sollten. Als wir weiter diskutierten, kamen wir zu den Bhikshunis und fragten uns, wie wir mit ihrer Situation umgehen sollten. Von diesem Zeitpunkt an fing ich an, mich für die Frage der vollen Ordination zu interessieren.

Ich möchte mich bei den Bhikshunis bedanken, die aus dem Nan Lin Vinaya Nonnenkloster in Taiwan auf unserer Einladung hin kamen, um die Shramaneri Gelübde zu geben. Ich möchte auch den neunzehn Nonnen von den sechs verschiedenen Klöstern danken, die auf eigenem Wunsch freiwillig diese Gelübde genommen haben. Sie haben die letzten Wochen in zahlreichen Gesprächen und Diskussionen mit den Dharmaguptaka Nonnen und miteinander verbracht. Im Gespräch mit ihnen, fand ich, dass der Nonnen reine Absichten und entschlossenes Bodhisattva wunderbar und wirklich unglaublich gut sind. Manchmal denke ich, dass wir Mönche ein bisschen beschämt über unsere Intentionen hinsichtlich des Nehmens der Gelübde sein sollten, da unsere Intentionen nicht annähernd so fein oder rein sind wie die der Nonnen. Also freue ich mich darüber, was die Nonnen getan haben.

Dies ist das erste Mal, dass wir diese Gelübde gegeben haben. Es ist wichtig, dass wir die Linie und die Übertragung der buddhistischen Lehren bewahren, damit sie nicht abnehmen oder schwächer werden. Ich glaube, dass durch die Kraft unseres mitfühlenden Buddhas und all der großen Wesen der Vergangenheit, durch die Macht von Mahaprajnapati und all den großen weiblichen Arhats die Gelegenheit vorhanden war, die Gelübde zu geben, und wir müssen sie jetzt erhalten, damit sie nicht verloren gehen.

Zum Schluss gab der Karmapa seinen wesentlichen Ratschlag für den ganzen Sangha:

Das Wichtigste ist, egal ob wir Mönche oder Nonnen sind, dass wir harmonisch bleiben. Das ist die Grundlage für alles. Basierend auf Harmonie, können wir gute Disziplin und alles andere haben. Es ist wichtig, dass wir alle miteinander auskommen, uns gegenseitig respektieren und uns gegenseitig achtsam begegnen. Wenn wir das tun, dann werden die Lehren des Buddhas gedeihen. Ich möchte mich bei allen sehr bedanken.

Als der Applaus endete, erhoben sich die neunzehn Nonnen und opferten dem Karmapa ihre langen weißen Khataks, der ihnen seinen Segen und eine Segenschnur gab. Nach der Widmung stieg Karmapa von seinem Thron herunter und ging um den Hauptstupa herum zu dem berühmten Relief der Grünen Tara, das an einer Seitenwand des Stupas geformt und heute von einem Vorhang aus leuchtenden gelben und orangen Ringelblumen umrahmt war. Er stand auf einer Plattform vor dem Relief und vergoldete mit großer Sorgfalt ihr Gesicht und ihren Körper mit einem feinen Pinsel. Es war ein passender Abschluss dieser außergewöhnlichen Tage, an denen den Frauen die Türen geöffneten wurden, so umfangreich zu praktizieren, wie sie es sich wünschen. Quelle: kagyuoffice.org

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